Hexenjagd auf Nonnenwerth

© 2009
Die Welt schien still zu stehen, als Gottfried durch die Klosterpforte schritt. Er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was er sah. Abt Johann schien gespürt zu haben, dass die Nonnen seiner Hilfe bedurften. Der gesamte Konvent hatte sich im Hof vor der Kirche versammelt, auf deren Treppe ein weißgekleideter Mönch stand, zu seinen Füßen ein nacktes Mädchen, gefesselt und kahl geschoren. Ein Hexenprozess!

»Gelobt sei Jesus Christus«, rief ihm der Mann von der Treppe aus zu. »Ihr kommt gerade Recht, Bruder, um Zeuge himmlischer Gerechtigkeit zu werden.«
»In Ewigkeit. Amen«, murmelte Gottfried und suchte nach Mutter Anna. Langsam trat er durch die Reihen der Nonnen, fand die Oberin jedoch nicht.
»Ich nehme an, Ihr seid Heinrich Insistoris?«, wandte er sich an den Weißgekleideten. »Oder seid Ihr Jacob Sprenger? Wer ist dieses Weib, dass Ihr hier auf Nonnenwerth Gericht über sie haltet?« Flüchtig betrachtete Gottfried die Angeklagte.

»Bruder Bernward«, antwortete der Weißgewandete. »Dominikaner aus Trier. Der Gütige ließ uns hier über den Rhein setzen ...«
»So maßt Ihr Euch ein Amt an, das Euch nicht zusteht!«, fiel ihm Gottfried ins Wort. »Ihr seid kein Ketzerrichter, der aufgrund der ›summis desiderantes affectibus‹ einen solchen Prozess führen darf. Papst Innozenz VIII. ermächtigte darin ...«
»Nun muss ich Euch unterbrechen, Bruder Benediktiner.« Bernward schmunzelte, deutete eine Verbeugung an. »Insistoris hat mir die Vollmacht gegeben, im Notfalle tätig zu werden. Und eine Nonne, die in Wirklichkeit einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, ist wohl ein solcher.«

Eine Schwester des heiligen Benedikt! Gottfried starrte die Gefangene an. Was sagte Anna dazu?
»Darf ich in der Verhandlung fortfahren, Bruder Benediktiner?«, zog Bernward die Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Ihr werdet hören, wie schändlich das Treiben dieses Weibes war.«
Nachdenklich nickte Gottfried. Nannte seinen Namen.
»So seid Ihr der bewundernswerte Nuntius des Hessen?« Bernwards Augen weiteten sich. »Ich sandte vor drei Tagen nach Coellen. Ich hoffte, Hermann würde einen der Inquisitoren schicken ...«
»Ich bin nicht im Auftrag des Bischofs hier«, erwiderte Gottfried, »sondern weil Abt Johann von Siegburg mich schickt.« Der Dominikaner schien gerecht zu handeln, sonst hätte er keinen seiner Mitbrüder nach Coellen beordert. »Fahrt in der Verhandlung fort. Doch seid gewiss, ich werde alles genau verfolgen.«

Der Angesprochene zögerte. Gottfried von Unkel war ein Gegner der Hexenverfolgung, dies musste ihm gerade bewusst werden. Gleichsam erinnerte sich Bernward wohl der Hexenbulle des Papstes, in der es hieß, dass niemand Widerstand wagen sollte. »So wende ich mich als Erstes an die Gefangene«, hallte seine Stimme von den Klostermauern. »Katharina Schneyder, bekennst du dich schuldig, im Bund mit dem Teufel zu stehen?«

Ein kaltes Schauern ergriff Gottfried. Er kannte das Mädchen. Katharina im Bund mit dem Teufel? Ein Irrtum! [...]


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