13.11.88

© 2008
»Auf 201 liegt Tom – keine Ahnung, wie er weiter heißt. Ein Obdachloser, den die Polizei heute Nacht im Park aufgegabelt hat, ohne Papiere«, erklärte Hans. »Wir mussten ihn hier aufnehmen, weil's weit und breit sonst kein freies Bett gab. Ihr braucht euch kaum um ihn kümmern. Er soll sich ausschlafen, dann schickt ihn fort. Wenn die Verwaltung erfährt, dass wir hier so jemanden beherbergen ...« Er verdrehte die Augen.
»Alles klar«, nickte ich und sah Ute fragend an. Hatte sie nicht noch weitere Fragen an Hans? – Da Ute schwieg, richtete ich meine Augen auf den Nachtpfleger. »Gibt's noch was, das wir wissen müssen?«
Hans schüttelt den Kopf, gähnte und erhob sich.
»Ok«, nickte ich und tat ihm gleich. »Dann schlaf gut!«
Ute winkte Hans, dann stand auch sie auf. »Na los, dann gehen wir mal die Herrschaften wecken und Betten machen!« Wie ein Wirbelwind rauschte sie an mir vorbei. Ich folgte ihr. Schließlich war ich der Krankenpflegeschüler, sie aber die – wenn auch frisch – examinierte Schwester.

Viele unserer Patienten waren über das Wochenende heimgefahren. Kaum einer erhielt auch am Sonntag seine Chemotherapie. Die wenigen, die wir an jenem Sonntag zu betreuen hatten, waren so fit, dass wir sie aus den Betten scheuchen konnten. Nur ab und an eine Hilfestellung beim Waschen und Anziehen war zu leisten, hier und dort ein Rücken zu waschen. Ute und ich waren schon fast fertig mit dem ersten Rundgang, als wir das Scheppern des Essenwagens mit dem Frühstück auf dem Stationsgang hörten. Jetzt hatten wir nur noch nach Tom zu sehen.

Gemeinsam betraten wir das Zimmer 201. Bei Gott, der Mann dort im Bett musste gestern Abend Einiges getrunken haben! Die Luft in dem Raum stank bestialisch.
Zögernd schielte Ute zu mir auf. »Gehst du ihn wecken?«, flüsterte sie.
Gehorsam trat ich an das Bett heran. »Hallo«, rief ich den Mann an und berührte seine Schulter. Aber er reagierte nicht. »He, Herr ...!« Ich versuchte es etwas gröber. »Kommen Sie, die Nacht ist zu Ende.«
Plötzlich bewegte er sich. Er warf sich auf die andere Seite, blinzelte und brabbelte etwas, das ich nicht verstand. Dann schlossen sich seine Augen wieder.

»Hallo, Sie da ...« Ute trat neben mich. Ich ergriff ihren Arm. »Lassen wir ihn schlafen«, flüsterte ich und wandte mich zum Gehen.

Wir machten uns daran, die Tabletts mit dem Frühstück in die Zimmer zu bringen. Schließlich hatten wir alle Patienten versorgt und zogen uns zur Pause in das Schwesternzimmer zurück.
Gestärkt ging es um etwa neun Uhr wieder an die Arbeit. Ute wollte das Geschirr aus den Zimmern räumen, während sie mich beauftragte, die nötigen Eintragungen in die Krankenakten zu tätigen. Gerade saß ich über eine der Akten, als mich ihr Aufschrei hochfahren ließ. Im nächsten Moment war ich durch die Tür auf den Gang gelaufen und sah mich um. »Peter!«, hörte ich sie da – vom Ende des Ganges. Ich stürmte los. Es war eindeutig: Irgendetwas musste in 201 geschehen sein! [...]


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