Dexter

© 2012

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Die Klappe ließ sich leichter öffnen als gedacht. Er zögerte, lauschte. Aber da war kein anderes Geräusch als der tiefe, ruhige Atem einer Schlafenden. Sie waren ungestört.
Dexter schlüpfte in das Zimmer.

Sandy saß in ihrem Lehnsessel, die Füße auf dem Tisch, die Arme vor der Brust verkreuzt, den Kopf mit den langen blonden Haaren nach vorn gebeugt. Wie jeden Abend hatte sie noch gelesen; das Buch lag bäuchlings aufgeklappt auf dem Wohnzimmertisch.

Im Licht der Stehlampe, die halb hinter ihr stand, sah sich Dexter um. Obwohl er noch nie hier gewesen war, kannte er die Wohnung. Schon seit einer Weile beobachtete er das Mädchen.
Die Räume waren modern eingerichtet; nicht zu modern natürlich; als Krankenschwester verdiente Sandy nicht viel, das wusste er, gerade genug, um sich dieses Appartement in dem Hochhaus leisten zu können. Durch die großen Fenster sah man auf einen anderen Betonklotz hinaus, sowie auf einen schmutzigen Hinterhof.

Jeden Morgen um halb sechs stand Sandy auf, zog die weiße Uniform an, die ihr so gut stand und ging zur Arbeit, wo er sie nicht mehr beobachten konnte. Stattdessen zählte Dexter die Stunden bis zu ihrer Rückkehr. Punkt fünf Uhr am Nachmittag kam sie heim, schälte sich aus der Schwesterntracht und ging unter die Dusche. Danach trug sie fast immer eine ihrer beiden Jogginghosen – grau oder blau – und ein ausgeleiertes T-Shirt, das sie unmöglich noch anziehen konnte, wenn sie unter Menschen ging; was so selten vorkam, dass Dexter beinahe regelrecht erschrak, wenn Sandy einmal ein Kleid oder Jeans und ein gutes T-Shirt trug. Zu gern hätte er dann gewusst wohin sie ging und mit wem. Doch nie wurde sie abgeholt; nie bekam er einen ihrer Freunde zu Gesicht.

Fast zärtlich blickte Dexter auf sie herab. Schlaf, meine Schöne, dachte er, schlaf ruhig. Er hatte kein Interesse daran, sie zu wecken, wollte erst noch mehr über sie erfahren. Seinem Empfinden nach kannte er sie noch immer nicht gut genug. Außerdem erschien ihm die Situation zu paradox.

Ein leises Klack! ertönte, als er mit dem Fuß gegen ein Regal stieß. Sandy gab ein Geräusch von sich, ihre Lider flackerten.
Aber sie öffnete nicht die Augen.
Wo kommt das verdammte Regal her?, fragte sich Dexter und schlich in den Korridor, um aus ihrem Blickfeld verschwunden zu sein, sollte sie erwachen. Gestern hatte das Teil noch nicht da gestanden, das wusste er! Allerdings war er auch eine Zeit lang abgelenkt gewesen ...
Auf der Schwelle zur Küche hielt er inne. Tatsächlich hatte er sie tagelang kaum beachten können, hatte sich dämlichen Verhören durch idiotische Polizisten ausgesetzt gesehen und war diesen verflixten Gesetzeshütern nur aufgrund seiner Cleverness entkommen. Und doch – es war gestern Nachmittag gewesen, als Sandy die Tür ihres Appartements zuletzt geöffnet hatte, durch die sie gestern Morgen hinausgegangen war. Verwirrt blieb Dexter stehen.

Der vertraute Anblick – hässliche graublaue und weiße Fliesen auf dem Boden, weiße Küchenmöbel, der Esstisch und die Elektrogeräte – beruhigte ihn.
Trotzdem richteten sich seine Nackenhaare auf und er fuhr herum, als stünde Warner oder einer seiner Helfer hinter ihm. Allzu dicht waren sie ihm auf den Fersen gewesen. Einen Augenblick lang starrte Dexter in den dunklen Korridor, der nur schwach von der Lampe im Wohnzimmer erhellt wurde. Dann, allmählich, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Kein Bulle stand da, natürlich nicht! Sie würden ihn in dieser Wohnung nicht finden, nicht her kommen. Niemals! Hier war er in Sicherheit.
Dexter entschied sich zu bleiben.

* * *

»Kommen Sie mit erhobenen Händen raus und ergeben Sie sich! Das ist meine letzte Warnung!«
Ein einzelner Schweißtropfen trat unter dem Stetson hervor und lief dem Mann über die Schläfe. Sonst war ihm nichts von der Anspannung anzusehen, unter der er stand, während er das Megafon langsam senkte.

Joe Applegate bewunderte den Freund, der in jeder Situation Herr der Lage zu sein schien. Doch diesmal hatte der Kerl eindeutig Scheiße gebaut!

Joes Hand schloss sich fester um den Griff des Colts. Sie hatten den Gesuchten bereits in ihrer Gewalt gehabt, und niemand bezweifelte, dass der Mistkerl den Mord verübt hatte. Aber die Beweise hatten gefehlt. Joe hatte seinen Vorgesetzten angefleht, auf die Untersuchungsergebnisse des Pathologischen Instituts in Los Angeles zu warten – doch die 48 Stunden waren abgelaufen, bevor der Anruf kam. Obendrein hatte ihnen der Bürgermeister im Nacken gesessen, dessen Neffe der Verdächtige war ... Also hatte der Alte ihn laufen lassen.

Inzwischen lag das Ergebnis der DNA-Analyse vor, und nicht einmal mehr Mayor Majors konnte seinen Neffen schützen, der sich in der Scheune dort vorne versteckt hielt.

»Es ist soweit!« Die Stimme des Älteren riss Joe aus seinen Gedanken. Gleichzeitig gab der Sheriff den anderen Deputys ein Zeichen.
Überall um das Gebäude herum blitzten Gewehrläufe im Sonnenlicht, waren die Kollegen bereit, auf den Befehl ihres Dienstherrn draufloszuschießen – egal was sich hinter den morschen Brettern der Scheune befand.
Joes Nackenhaare richteten sich auf. [...]


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