© 2010
Ein Schatten tauchte aus der fast vollständigen Dunkelheit vor ihr auf. Es war kein Mensch oder ein ihr bekanntes Tier, sondern etwas Dämonisches, das ihr das Blut in den Adern gerinnen ließ. Lucia wollte in den Felsengang zurückweichen, durch den sie gekommen war. Doch ihre Füße gehorchten nicht. Der ekelerregende Geruch, der von dem Wesen ausging, als es sich ihr näherte, schnürte ihr die Luft ab. Ich muss hier weg!, dachte sie verzweifelt, wandte sich um und begann zu laufen. Aber – sie lief auf der Stelle! Sie ruderte mit den Armen, warf die Beine, kam dabei jedoch keinen Zentimeter weiter. Ein Knurren erklang. Etwas Hartes streifte ihre Wange. In ihrem Nacken spürte sie den Atem des Anderen. Vergeblich versuchte sie, der Bestie zu entkommen. Etwas Nasskaltes berührte ihren Hals – seine Zunge! Ihr Herz klopfte in Todesangst. Ein Aufschrei entrang ihrer Kehle. Sie stürzte ... Mit einem dumpfen Aufschlag landete Lucia auf dem Teppich ihres Schlafzimmers. Aus dem Albtraum erwacht, blinzelte sie in die Morgensonne, die durch das Fenster herein fiel. Unwillkürlich sah sie sich um, als wäre das Monster mit ihr in die Wirklichkeit gekommen. Erleichtert atmete sie auf. »Ich muss Sie warnen«, kamen ihr die Worte Santiagos ins Gedächtnis, »es heißt, dass es in diesem Haus spukt.« »Idiot!«, zischte Lucia und rappelte sich auf. »Ich blödes Huhn habe mir deine Worte wohl zu sehr zu Herzen genommen. Als wenn’s Geister gäbe!« Über sich selbst wütend, schmiss sie das Kopfkissen, das mit ihr aus dem Bett gefallen war, auf seinen Platz zurück. Danach ging es ihr besser. Sie war keinesfalls dumm. Das Haus war wundervoll. Sie wäre dumm gewesen, es für den von dem Makler angegebenen Preis nicht zu erwerben. Schließlich hatte sie schon immer von einem solchen Haus geträumt. Noch einmal sah sich um. Mit einem Lächeln auf den Lippen verließ sie den Raum, das bislang einzige komplett eingerichtete Zimmer. Es war das letzte am Gang. Die Hand auf dem Geländer, blickte sie in das mächtige Wohnzimmer hinab und schritt auf der Empore entlang an drei weiteren Räumen. Jenseits des Wohnzimmers waren auf gleicher Höhe ebenfalls vier Zimmer. Dieses Haus bot bei Gott genügend Platz, waren im Erdgeschoss doch weitere Räumlichkeiten. Das Allerbeste aber war das gigantische Panoramafenster im Wohnzimmer, das nicht nur Ausblick auf den mächtigen Garten, sondern auch über Los Angeles gab. Vor Glück quietschend verließ Lucia die Treppe zum Wohnzimmer hinunter, lief an dem offenen Kamin vorbei und sah hinaus. »Guten Morgen!«, rief sie, als könnten die Menschen dort unten sie hören. Sie klatschte in die Hände. Wie herrlich das Leben sein konnte! Noch vor einem Jahr hätte sie sich nicht träumen lassen, jemals in einem solchen Haus zu wohnen. Wie hatte Dixby, der Nachbar in ihrer Mietswohnung, es ihr schwer gemacht. Dann war alles so schnell gegangen. Ihr Agent hatte ihren ersten Roman ersteigern lassen, eine knappe Million hatte ihr ein Verlag geboten, und fast gleichzeitig hatte sie die Anzeige des Maklers in der Zeitung gelesen. Eine viertel Million hatte Santiago für dieses Anwesen verlangt, wie hätte sie Nein sagen können. Doch wieso hatte er ihr diesen Unsinn von dem Spuk erzählt? Lucia schüttelte die Erinnerungsfetzen an ihren Traum ab. Santiago war ohnehin eigenartig. Ihm war nie anzusehen gewesen, was er meinte. Manchmal hatte es ausgesehen, als lächelte er, obwohl es nichts zu lächeln gab; ein anderes Mal hatte Lucia geglaubt, er verstünde keinen Spaß. Schulterzuckend entschloss sie sich, nicht weiter über den vermeintlichen Spuk nachzudenken. Die Aussage Santiagos kam ihr erst wieder ins Bewusstsein, als sie wenig später in der nächstgelegenen Bäckerei stand, um Brötchen für das Frühstück zu kaufen. Zunächst glaubte Lucia, die grauhaarige Frau hinter dem Tresen erkenne in ihr die Autorin und machte sich bereit, ein Autogramm zu geben. Da aber fragte die Verkäuferin, nachdem sie sie lange angesehen hatte: »Sie sind die neue Besitzerin der ›Ole Man Mill‹, oder? Hier, nehmen Sie Ihre Brötchen und dann gehen Sie bitte rasch!« »Hier ist die Mailbox von Alfredo Santiago, Ihrem Makler, wenn es um gute Immobilen geht. Bitte hinterlassen Sie ...« Mit zusammengepressten Lippen startete Lucia den Motor. Sie war entschlossen, Antwort auf diese Fragen zu finden. In L.A. gab es bestimmt Archive, in den sie danach suchen konnte. »Na, Kindchen, finden Sie, wonach Sie suchen?«, bemerkte diese ihren Blick. | |
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